Ich möchte einen schmackhaften Kuchen backen

Vor ein paar Tagen haben wir die Saison 2021/2022 beendet. Kannst du sie in drei Worten zusammenfassen?

Oren Amiel: Herausfordernd, emotional. Und das Gute kommt erst noch.

Lass uns einen ausführlichen Blick auf die Spielzeit werfen und zurück zu deinem Anfang blicken. Es war eine Achterbahnfahrt, oder?

OA: 100% richtig, ja.

Wir hast du die ersten Wochen in Erinnerung?

OA: Zunächst einmal: es haben mich alle vom ersten Tag an akzeptiert, haben mich herzlich aufgenommen und mir geholfen. Wir haben von Tag eins an etwas aufgebaut, auch wenn die Ergebnisse zunächst nicht gut waren. Aber wir hatten das Gefühl, wir kommen voran. Dann gab es das Spiel in Hamburg, da haben wir es gepackt, haben uns gegenseitig verstanden. Anschließend kam die Achterbahnfahrt. Wir hatten mit Verletzungen zu kämpfen, mit Covid. Unser Training ist auseinandergefallen, wir mussten teilweise wieder ganz von vorne anfangen. Das schaffst du nur, wenn du einen starken Charakter hast. Und den haben meine Spieler, in dieser Hinsicht waren und sind sie fantastisch.

Du hast das Spiel in Hamburg erwähnt. Gab es im Vorfeld einen Punkt, an dem du wusstest, jetzt hat es bei den Jungs „Klick“ gemacht?

OA: Wenn man sich meine Interviews nach den ersten Spielen ansieht, habe ich immer gesagt, dass wir auf dem richtigen Weg sind, auch wenn wir verloren haben. In Hamburg hatte sich die Arbeit, die wir bis dahin geleistet hatten, endlich ausgezahlt. Wir haben gespürt, dass wir die Situation unter Kontrolle haben, dass wir das Spiel verstehen. Für mich war es ja auch eine neue Situation. Es war das erste Mal, dass ich während einer Saison eine Mannschaft übernommen habe. Ich habe mich im Vorfeld lange gefragt, ob es Sinn macht, meine Philosophie zu vermitteln oder aber zu versuchen, das bereits einstudierte weiterspielen zu lassen. Ich habe mich dann für meinen Weg, für meine Strategie entschieden, auch wenn es ein großes Risiko war.

Die Entscheidung fiel aber, bevor du nach Bamberg kamst, oder?

OA: Ja, bevor ich hierherkam. Es war ein Gespräch zwischen meiner linken und meiner rechten Gehirnhälfte. Und schließlich habe ich entschieden, dass ich nicht jemand anderes sein kann. Und das muss ich auch. Bevor ich ankam, habe ich die Mannschaft natürlich oft beobachtet, habe alle Videos gesehen. Ich wusste also mehr oder weniger, was mich erwartet. Und ich denke, in Hamburg habe ich den Stempel dafür bekommen. Meine Entscheidung mit mir selbst war der richtige Weg. Aber dann hat sich alles wieder geändert und wir mussten die Richtung neu finden.

Wann warst du dir sicher, dass es mit den Playoffs noch klappen kann? War da ein Tag, eine Aktion?

OA: Nein.

Also war es ein Prozess?

OA: Ja, ein Prozess. Winston Churchill hat einmal gesagt, dass sich der Charakter vielleicht in den großen Momenten manifestiert, aber er wird in den kleinen Momenten gemacht. Das bedeutet, dass ich jeden Tag, wenn ich die Jungs im Training beobachte, sehe wie sie schwitzen, wie sie leiden, da sehe ich aber auch: sie tun es mit einem Lächeln, mit Hingabe. Mir war schnell klar, dass wir die richtigen Spieler haben, um etwas zu schaffen. Vor allem, was die Persönlichkeit angeht. Ich kann also nicht sagen, dass ich damals schon wusste, was auf uns zukommt, aber ich hatte das Gefühl. Ich habe es mit dem Trainerstab im Rücken gespürt, dass wir etwas schaffen können. Schnell war auch klar, dass wir durch unser Spiel, alles auf dem Platz zu lassen, wieder eine Verbindung mit den Fans herstellen konnten. Das gab zusätzlich Auftrieb. Es gab also tatsächlich nicht DEN einen Moment.

Du hast das Verhältnis zu den Fans angesprochen. Es wurde in den letzten Jahren immer wieder vom Bamberger Basketball gesprochen, dem Spiel mit Hingabe, Leidenschaft. Das war, was die Fans erwartet hatten, was sie lange Zeit aber nicht immer bekamen. Das ist jetzt anders. Sie haben wieder Spaß am Basketball, denn endlich sehen sie, dass es keine bloßen Phrasen sind, sondern die Jungs wirklich ihr ganzes Herz auf dem Parkett lassen.

OA: Ich glaube, das Wichtigste ist, man selbst zu sein. Und ich habe mich nicht verändert. Ich weiß, wie ich früher trainiert habe und woran ich glaube. Und das ist das, was ich versuche, den Spielern zu vermitteln. Natürlich gab es einen gewissen Mangel an Selbstvertrauen, als ich kam, aber Schritt für Schritt haben wir versucht, den Jungs das Vertrauen zurückzugeben, sie spüren zu lassen, dass sie in der Lage sind, Großes zu leisten. Und in dem Moment, in dem sie das gespürt haben, war es leichter für sie, Leistung zu bringen. Ich habe schon einmal in einem der letzten Fantalks gesagt, dass wir eine Verantwortung für uns selbst haben, als Basketballspieler und als Profis, weil man zwar viele Dinge nicht kontrollieren kann, aber man kann seinen Einsatz und seine Energie kontrollieren. Und das ist Teil meiner Philosophie. Es geht um den Willen. Es geht um die Hingabe. Es geht darum, niemals aufzugeben. Wir hatten auch in den schwierigen Momenten keinen Spieler, der mit dem Finger auf andere gezeigt hat und anderen die Schuld gab. Wir haben immer zusammengehalten, haben uns immer gegenseitig geholfen. Und es war beeindruckend, das zu sehen, vor allem in den schwierigen Momenten, als wir manchmal nicht einmal sechs Spieler beim Training hatten.

War es deshalb am Ende eine erfolgreiche Saison für dich?

OA: Ich will das nicht mit Titeln belegen. Man muss den Prozess und die Arbeit, die man leistet, bewerten. Alles, was das Team tut. Und ich denke, wenn wir uns daran erinnern, wie es vor zwei Monaten war, als noch viel mehr Nebel in der Luft lag, als diese klarere Sicht, dann haben wir einfach die Entscheidung getroffen, dass wir wirklich ein Spiel nach dem anderen nehmen, tun, was wir tun müssen, genießen, was wir tun. Sind wir ehrlich: wir haben das beste Leben. Wir dürfen Basketball spielen. Manche Leute stehen um 4:00 oder 5:00 Uhr morgens auf und gehen aufs Feld. Und ich rede noch gar nicht von Dingen wie Krieg oder Hunger. Am Ende des Tages hat man also zwei oder drei Stunden am Tag, um sich dem zu widmen, was man will. In dem Moment, in dem wir den Druck beiseiteschieben und sagen, wir nehmen einen Tag nach dem anderen, noch ein Training, noch ein Spiel, das nächste, wieder das nächste… So haben wir Leichtigkeit bekommen und waren in der Lage, bessere Leistungen zu bringen.

Lass uns nach vorne schauen. Es wird ein stressiger Sommer, oder?

OA: Oh ja, das wird er. Vor allem aber, es wird ein wichtiger Sommer. Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, um ein starkes Team zu bilden. Wir wollen eine Mannschaft zusammenstellen, die eine gewisse Beziehung zu Bamberg hat, die versteht, was Bamberg ist, und die die Mentalität von Bamberg mitbringt. Und das wird eine Herausforderung sein, denn die Jungs zusammenzubringen, ist wie ein Treffen einer großen Familie, man bringt Leute aus verschiedenen Orten der Welt und verschiedenen Kulturen an einen Fleck. Und das ist die Kunst, etwas aufzubauen, das größer ist als der Einzelne. Das wird eine Herausforderung sein.

Du hast das Personal erwähnt. Es wird einige Veränderungen im Staff geben. Hylke van der Zweep und Domenik Theodorou gehen, Arne Woltmann kommt neu hinzu.

OA: Wie das Leben manchmal spielt, ist unglaublich. Ich war 2010 Assistenztrainer in Nymburk und bekam eine Mail von einem Typen namens Arne Woltmann. Er war damals Co unter Fleming und fragte mich, ob ich ihm vor dem Spiel gegen Braunschweig eine DVD im Hotel lassen könnte, weil sie das erste Spiel der Saison gegen sie bestreiten würden. Und jetzt sitzen wir hier, zwölf Jahre später, ich bin Cheftrainer von Bamberg, Arne und Stefan Weissenböck sind auch wieder hier. Das ist verrückt. Das ist faszinierend. Das ist einfach umwerfend. Ich kenne Arne also schon lange, hatte ihn aber nie wirklich persönlich getroffen. Als wir das dann vor Kurzem nachholten, wusste ich von der ersten Minute an, dass wir zusammenarbeiten können und ich werde sein Wissen und seine Erfahrung nutzen und schätzen.

Du sagtest einmal, dass du anspruchsvolle Assistenztrainer brauchst, die dich auch fordern. Klar, Arne und Stefan haben gemeinsam viele Titel gewonnen, aber sie waren nie Champions League Trainer des Jahres…

OA: (lacht) Irgendwas muss ich ja auch einbringen… nein, ernsthaft. Die Liste ihrer Titel ist endlos. Zudem finde ich es wichtig, dass beide bereits mit großartigen Trainern gearbeitet haben. Wir sitzen gemeinsam im Büro und ich unterhalte mich mit ihnen über Ideen von Steve Kerr oder Chris Fleming. Das ist nichts, was man als selbstverständlich ansehen kann. Ich bin ein Mann der Teamarbeit. Und ich möchte, dass am Ende des Tages eine Diskussion stattfindet. Ich muss die Entscheidung treffen, logisch. Aber ich möchte die Herausforderung haben, für mich verschiedene Sichtweisen auf verschiedene Situationen zu sehen und darüber zu sprechen.

Was können die Fans nächste Saison erwarten? Warum sollten sie sich eine Dauerkarte kaufen?

OA: Ich möchte, dass Basketball mit Spaß gespielt wird. Ich versuche immer, mit viel Kreativität zu spielen, mit viel Tempo, mit vielen Möglichkeiten für jeden, sich zu orientieren, manchmal aus dem Rahmen zu fallen und nicht gegen die Wand zu laufen. Wenn die Spieler keinen Spaß haben, können sie keine Leistung bringen. Ich vergleiche das Recruiting und mein Spiel gerne mit einem Kuchen, den wir alle gemeinsam backen. Wir backen den Kuchen in der Vorbereitung und unter der Woche, am Wochenende soll er dann den Fans schmecken. Zusammengefasst: wir wollen ein Team haben, das intensiv und mit Freude spielt und kämpft. Und niemals, niemals, niemals aufgibt, egal wie die Umstände sind. Das sind die Dinge, auf die wir uns konzentrieren, wenn wir die Jungs rekrutieren. Und hoffentlich haben wir auch etwas Glück und backen einen schmackhaften Kuchen.